Nepal & Kolkata 2019 blog

22. Oktober

Flucht aus Katmandu?

Das Ende der verrückten Geschichte von Kim Stanley Robinson beschreibt, wie schon im Titel ersichtlich, die "Flucht aus Katmandu". Nun haben wir weder den Yeti befreit noch Jimmy Carter getroffen und müssen auch nicht fliehen. Ganz im Gegenteil, Nepal wird uns in guter Erinnerung bleiben und war ein herzlicher Gastgeber.

Jetzt sitze ich also in der offenen Lobby des Dwarika's, wir warten auf den Transfer zum nahen Flughafen in drei Stunden und es ist Zeit für ein Fazit, ein Resümee. Was ist das? Eine Auflistung von Fakten? Eine präzise Wahrheit? Dann wäre meines per se zum Scheitern verurteilt, ich sitze im Dwarika's und schreibe über Nepal, das ist in etwa so als wenn uns ein Nepali zwei Wochen in Oberhöfen besucht und anschließend einen Aufsatz über die Gentrifikation europäischer Großstädte schreibt.

Versuchen wir es mit einem Konzept von Gerhard Mantel, das für die Interpretation von Musiktexten gedacht ist, sich aber meines Erachtens auch auf viele ander Fragestellungen anwenden lässt:

Notentext -> Lesen -> Beschreiben -> Idee einer Gestalt -> Interpretation

Übertragen auf unsere Reisen und mein Nepal-Fazit heißt das:

Land -> Bereisen -> Beschreiben -> Idee einer Gestalt -> Interpretation

Erste Gemeinsamkeit dieser beiden Konzepte ist das vielfältige Beschreiben, erst daraus kann sich die Idee der Gestalt und schließlich die Interpretation entwickeln. Beschrieben hat mein analoges Tagebuch und dieser öffentliche Blog. Nur daraus, was man erlebt und beschrieben hat, entwickelt sich die Idee der Gestalt, so kann unser Thema für eine Idee nicht lauten "wie ist die Situation der Frauen in Nepal?" und auch nicht "wie ist der Zustand des öffentlichen Schulsystems?". Wie immer sind wir in einem Informationskorridor gereist, der uns einen sehr spezifischen Blick auf unser Reiseziel geboten hat. Heute nennt man das gerne Filterblase und meint damit etwas Negatives, allerdings leben Menschen nun mal in solchen Blasen, ihrer spezifischen Lebenswirklichkeit eben, die sich entsprechend durch gegenseitige Rückkopplung verstärkt, das war beim Bauern der Bronzezeit und beim Adligen am Hofe König Ludwig XIV. nicht anders als heute, nur eben ohne technisch leicht manipulierbare Multiplikatoren.

Unsere Fragestellung für das Fazit muss also lauten "wie stellt sich Nepal für uns als westliche Touristen dar?". Das beeinhaltet zum einen unsere touristischen Aktivitäten, Besuche von Sehenswürdigkeiten, Nashörner, Einkäufe, aber natürlich auch die vielen Informationen, die wir über das Nepal außerhalb des Tourismus bekamen, wenn wir mit unseren großartigen Führern Krishna, Shankar und nochmal Krishna geredet haben.

Aus dieser Perspektive beziehungsweise mit dieser Fragestellung lautet das Resümee, die Idee einer Gestalt: Nepal ist ein sehr empfehlenswertes Urlaubsland, es gibt viel zu entdecken, leckeres Essen, großartige Natur und eine vermutlich einmalige Verschmelzung von Hinduismus und Buddhismus. Die Menschen im Land sind ausgesprochen nette und angenehme Gastgeber, wir hatten keinerlei Bedenken aufgrund irgendwelcher Kriminalität und haben auch keine schlechten Erfahrungen gemacht, die auf Habgier beruhen, wie ab und an in Indien. Die Organisation stellte sich uns als bei weitem geordneter als im südlichen Nachbarland dar, was aber vermutlich auch der guten Arbeit von Himatrek und deren qualitativ hochwertigen Partnern zu verdanken ist. Das gesprochene Englisch kam uns in vielen Fällen mehr entgegen als das Indien, eventuell, weil Nepal nie zum Empire gehörte und daher Englisch als Fremdsprache gelehrt wird, es konnte sich nie ein eigenes, für uns schwieriges "Nepal-Englisch" entwickeln, sondern es wird von den Touristen gelernt.

Insgesamt ist Nepal, verglichen mit Indien, für uns Besucher um Welten weniger bürokratisch und sinnlos kompliziert, ein Pass für die ganze Gruppe reichte in fast allen Hotels, niemand fordert Anschrift und Telefonnummer, wenn man Batterien kauft, in den Hotels nerven keine Bewertungsformulare und keine technisch komplett überflüssigen Sicherheitseinrichtungen. Allerdings hat Nepal auch nicht das Trauma von terroristischen Angriffen erleben müssen und ist daher vermutlich noch etwas naiver was die Sicherheitslage angeht. Auch der Umgang mit Alkohol ist im Vergleich zu Indien extrem locker und Rindfleisch gibt es in den meisten touristischen Restaurants, ein Umstand, der bei einem Anteil von 80% Hindus in der Bevölkerung in anderen Ländern komplett undenkbar wäre. Es geht also entspannt zu!

So weit meine Idee einer Gestalt. Aus dieser kann sich eine wie auch immer geartete Interpretation entwickeln, aber das wäre ein anderes Thema.


+++ Eilmeldung +++
Soeben erreicht uns die Nachricht, dass sich der Air India Flug von Kathmandu nach New Delhi verzögert. Gelis, Mikes und Uwes Flucht aus Kathmandu ist also vorerst gescheitert, ob heute noch ein Anschlussflug erreicht werden kann ist unsicher.


Wir wurden um 14Uhr zum Flughafen gefahren, Checkin, Ausreise und Sicherheitskontrolle verliefen zügig und mit einem Lächeln, Nepal verabschiedete sich freundlich. In der Wartezone vefolgen wir jetzt die Flucht von Team 1, so wie es aussieht werden sie erst gegen 17Uhr in Delhi landen, sind also etwa 6 Stunden verspätet. Die Buchungsseite von Air India bietet aber für morgen noch Flüge an, und zwar einen mit einem Lufthansa A380 um kurz vor 3Uhr und den Air India Dreamliner am Mittag, beide scheinen nicht ausgebucht zu sein und sollten zur Fortsetzung der Reise taugen.

Der Abflug aus Kathmandu war dann ein Augenschmaus, das ganze Panorama des Himalaya breitete sich vor uns aus, geniale Sicht, einfach fantastisch!

Nachdem wir pünktlich in Kolkata gelandet waren fuhren wir mit dem üblichen Fahrdienst, der Repräsentant des Travel Beaureaus erkannte uns sogar, zum Fairlawn. Dort war die Freude groß, obwohl nun an The Elgin Hotelgruppe verkauft sind noch einige der "alten Nasen" da und es gab, ungewöhnlich für das Verhältnis Hotelangestellter-Gast, herzliche Umarmungen. Zwar wurde das Erdgeschoss deutlich renoviert, unser Zimmer entspricht aber bis auf eine neue Klimaanlage und ein paar Fläschchen Hotelketten-Schampoo dem, was wir kennen und schätzen, der unverbastelte Originalzustand des legendären Fairlawn eben, den man zugegebenermaßen schätzen und lieben muss, um dem Preis-Leistungs-Verhältnis etwas abgewinnen zu können. Vielleicht dachten sich unsere Gastgeber auch, dass wir genau die Richtigen für ein noch nicht renoviertes Zimmer seien.

Im Fairlawn erreichte uns dann auch die Nachricht, dass Fluchtgruppe 1 im Holiday Inn in Dheli untergekommen ist, eine unplanmäßige Verlängerung des Urlaubs aber ich denke es gibt Schlimmeres.

Auf dem Weg zum Tung Fong staunten wir anschließend nicht schlecht, Downtown Kolkata ist in den letzten 20 Monaten explodiert, überall neue, schicke Restaurants und Geschäfte, kein Stein auf dem anderen. Auch in unserem Lieblingsrestaurant dann Wiedersehensfreude, "unser" Oberkellner tut nach wie vor Dienst und begrüßte uns prompt, nachdem er uns erspäht hatte. Das Essen war wie immer super und wir fühlten uns nach "coming home", zum neunten Mal in Kolkata in neun Jahren.

Nun sitzen wir noch auf dem Balkon des Fairlawn, es ist kurz nach 23Uhr, die Temperatur liegt bei 30°C, die Luftfeuchtigkeit bei etwa 85%, ein Klima, das in Mitteleuropa einfach nicht vorstellbar ist. Das touchpad des tablets verweigert zunehmend seinen Dienst, alles klebt, unsere Klimaanlage entfeuchtet gerade unser schönes, unrenoviertes Zimmer und der Deckenventilator wird diese feuchtwarme, zähe Masse dann verquirlen. Trotzdem sind wir beide glücklich wieder hier zu sein!


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