Wie
nahe Glück und Pech beieinander liegen haben wir heute Morgen erfahren. Bei
den Nachmittagssafaris fährt man bevorzugt die Wasserstellen im Park an und
beobachtet, ob eine durstige Raubkatze zum Trinken geht. An einer der
Stellen, die wir gestern besucht haben, wurde keine 5min nach unserer
Weiterfahrt ein Tiger gesichtet.
Heute morgen setzten Frau Müller und wir uns, wieder mit Chinmay alleine im
Jeep, erneut rechtzeitig in Bewegung und waren wie gestern als erste am Tor.
Allerdings veranstaltete eine nach uns angekommene Dame so einen Zirkus, da
sie von der Pole Position in den Park einfahren wollte, dass ihr
verzweifelter Fahrer uns bat sie vorzulassen, was natürlich kein Problem
darstellte. Etwa 50m nach der Schranke trennten sich unsere Wege, ihr Auto
fuhr nach rechts, wir nach links.
Die ersten "alarm calls" ließen dann auch nicht lange auf sich warten und
wir kreisten sehr systematisch ein kleinräumiges Gebiet ein, unser heutiger
Parkangestellter Banvari war im Vergleich zu seinem smartphonesüchtigen
Kollegen gestern eine echte Bereicherung und arbeitete gut mit Chinmay
zusammen. Die Rufe der Affen wurden lauter und heller, ein Zeichen für Panik
und die resultiert aus der Anwesenheit eines Leoparden, denn diese klettern
auch auf Bäume und machen Jagd auf Affen. Die Szene war an Dramatik kaum
noch zu überbieten, die Rufe der Tiere, Rascheln, knisternde Spannung, im
Wortsinn atemberaubend, man vergisst tatsächlich Luft zu holen, hat die
Kamera im Anschlag und der Rekorder läuft. Wiederholt wechselten wir die
Position in Richtung der vermuteten Quelle.
Unsere Blicke erfassten jeden Quadratzentimeter des Jungles und dann hörten
wir das "wrrrroaaarrrr" des Leoparden, geschätzt keine 50m vor uns in einer
kleinen Senke, leider lief der Rekorder in diesem Moment nicht. Gebannt
schauten vier menschliche Augenpaare in das Dickicht des Pench Nationalparks
und dann, ganz plötzlich...
Schalten sie auch morgen wieder ein wenn es heißt "The Call of The Wild -
Ich sehe was was Du nicht siehst". Abspann. Werbung.
Wir sahen nichts, die Warnrufe verstummten, möglicherweise hatte der Leopard
Beute gemacht und die Dramatik zu einem letzten Höhepunkt geführt, danach
kehrte Ruhe ein. Was für ein Erlebnis, das unserer kleinen Gruppe ganz alleine
zuteil wurde, vollgepumpt mit Adrenalin setzen wir unsere Suche fort.
Noch besser als jede systematische Beobachtung der Natur funktioniert
allerdings eine systematische Beobachtung der anderen Fahrzeuge. Erhöhte
Geschwindigkeit, gestikulierende Insassen, eine größere Ansammlung von
Autos mit einer klaren Ausrichtung der teils gigantischen Teleobjektive kann
nur eines bedeuten. Ebenfalls wissenschaftlich bewiesen ist eine Korrelation
der Sichtung großer Raubkatzen mit dem Füllstand der Blase des Sichtenden.
Also Vollgas, alle Augen backbord und tatsächlich, heute war der Tag, an dem
es passieren sollte, ein stattlicher, wunderschöner, prächtiger, noch recht
junger männlicher Tiger lag etwa 200m von uns im Unterholz, ließ sich nach
unserer Ankunft noch 5min auf die Fotosession ein und verschwand dann hinter
den Teak-Bäumen Penchs.
Unmittelbar nachdem der König des Jungles in ebendiesem verschwunden war
traf der Wagen der ersten Dame im Park ein. Nun ist der Reporter ob seiner
journalistischen Objektivität selbstverständlich frei von niederen
Instinkten und Gefühlsregungen wie Schadenfreude aber ich muss der
Vollständigkeit halber protokollieren, dass dies nicht für jeden gilt und
die zeitliche Abfolge der genannten Ereignisse bei Fahrern und Naturalisten
gleichermaßen für Heiterkeit gesorgt hat.
Am Nachmittag genossen wir in aller gegebenen Entspannung die uns noch
unbekannten Teile des Parks im Süden, eine eher grasbewachsene, offene
Landschaft zu den backwaters im Bundesstaat Maharashtra. Auf dem Rückweg
konnten wir tatsächlich unseren Tiger nocheinmal kurz beobachten, während
allerdings die Morgensafari eher von den Profifotografen und Enthusiasten
gebucht wird ist am Sonntagnachmittag Familienausflug an der Reihe. Und so
rufen, jauchzen und klatschen die Teilneher bei der Tigersichtung, die
Jüngsten schreien begeistert oder plärren, weil sie nichts sehen, andere
schreien, damit die Schreier ihre Klappe halten, jedes Auto versucht sich in
Position zu drängeln und da das alles auf keine Tigerhaut geht tigert der
König in den Jungle und wart nicht mehr gesehen.
Und wir tigern jetzt zum "very special dinner" und feiern den Tiger!