11.12. 2014

Nach einem Tag des weiteren Herumkauens bin ich zu einem Ergebnis gelangt, ich versuche mich wirklich kurz zu fassen. Vergleicht man die Situation in Indien heute mit den 50er und 60er Jahre im Westen, werden Parallelen ersichtlich. Nach Befriedigung der biologischen Wertestruktur, also dem Anfressen eines Speckgürtels nach den Zeiten des zweiten Weltkriegs, kam es zum Aufbruch der Nachkriegsgeneration. Damals waren viele Ideen unterwegs und wurden ausprobiert, nicht alle enthielten dynamische Qualität und gingen in die statische Qualität ein. Frauen machen einen Führerschein? Gut. Wo stände Porsche heute ohne diese Errungenschaft, wer sollte all die Cayenne zum Kindergarten fahren? Laute Rockmusik und elektrische Gitarren? Gut. Lange Haare bei Männern? Gut. Entstauben des Lehrberiebs? Gut. Den ganzen Tag Drogen schlucken und herumlungern? Nicht gut. Wie man sieht gibt es eine Selektion, manche Ideen fallen durch, andere gehen in statische Strukturen ein und festigen sie damit.

Ich denke daher das bloße Vorhandensein von Ideen ist schon gut, ob sie dynamische Qualität enthalten, muss sich zeigen. Man könnte sagen es gibt eine potentielle dynamische Qualität. Mit diesem Ansatz, oder von mir aus auch Brückentier, komme ich zu einer zufriedenstellenden Antwort auf die Frage nach den bietrinkenden Inderinnen: "Prost Mädels, haut rein! Ob es gut ist, was ihr tut, muss sich zeigen. Aber das ihr es tut, ist gut."

Und noch etwas ist mir aufgefallen, als ich über dieses Thema gegrübelt habe: Die evolutionäre Entwicklung der Wertestrukturen, das Verbessern der statischen Qualität durch die dynamische, ist nichts anderes als das Zusammenwirken der drei "Großen" in der hinduistischen Mythologie. Brahma, der Erschaffer, Vishnu, der Bewahrer und Shiva, der Zerstörer. Shiva ist dabei keinesfalls der "Böse" und Gegenspieler der beiden anderen, Zerstörung muss sein, damit etwas Neues, Besseres geschaffen und bewahrt werden kann, ein ewiger Kreislauf. Es ist besser eine Idee zerstört eine Gesellschaft als das eine Gesellschaft eine Idee zerstört. Verbesserung der statischen Qualität durch dynamische, evtl. auch durch Zerstörung der Wertestrukturen. Berücksichtigt man, dass Robert M. Pirsig unter anderem in Benrares östliche Philosophie studiert hat, scheint meine Analogie gar nicht so weit hergeholt.

Und nun reicht es, im nächsten Urlaub lese ich vielleicht lieber einen Kluftinger-Krimi.

Der heutige Tag, unser letzter in Kolkata, verlief noch einmal sehr aufschlussreich. So war der Weg von der Metrostation zur Anada Neogi Lane, in der Ratris Familie wohnt, heute sehr viel kürzer als gestern. Die Erklärung muss sein, dass sich Kolkata permanent verändert, ausdehnt und zusammenzieht. Wege sind daher unterschiedlich lang, alles verändert sich in raschem Tempo und durch die Kontraktion verschwinden auch zeitweilig Dinge, wie gestern die Straße mit dem Messerladen. Hat man das erst einmal verstanden kommt man in der Stadt gut zurecht.

Eine tolle Entdeckung war dann ein winziger Betrieb, Hobners' Musik, unweit der Metrostation, in dem ein Mann Gitarren baut. Er fertigte gerade eine elektrische und auch wunderschöne halbakustische hingen dort. Das wäre doch etwas, eine in Kolkata vom Hersteller gekaufte Gitarre? Da ich keine Ahnung habe wie man so etwas heile nach Hause transportiert wäre jeder Aktionismus fehl am Platz gewesen, aber für den nächsten Besuch habe ich ganz sicher etwas vor!

Hobners' Musik

Das Mittagessen bei Tripti war dann auch wieder ein Höhepunkt des leckeren, bengalischen Essens. Dieses Mal hatten es uns vor allem der frittierte Blumenkohl und das Mango-Tomaten-Chutney zum Fisch angetan. Nach einem schönen Nachmittag folgte der unvermeidliche Abschied von allen, nicht ohne dem festen Vorhaben Ausdruck zu verleihen, möglichst bald wieder einmal vorbei zu schauen.

Und nun bleibt nur noch packen, essen, ein oder zwei Abschiedsbiere trinken und dann den Wecker auf 3:30Uhr stellen.

Aber es ist ein guter Zeitpunkt nach Hause zu fahren. Die Reise war voller Eindrücke, die noch verarbeitet werden wollen. Es fliegen fast 4000 Fotos mit uns, die Aufmerksamkeit und Pflege verlangen. Auf der "wenn wir wieder zuhause sind"-Liste stehen einige Dinge, auf die ich mich freue. Und schlussendlich läuft uns beim Gedanken an Käsefondue und ein Glas Wein das Wasser im Munde zusammen.

Und das ganz, ganz große Resüme nach fast einem Monat in Indien, der fünften Reise in vier Jahren?

Geli hat uns in Marari einen kurzen Abschnitt aus einem Buch von Tiziano Terzani vorgelesen. Darin hieß es man müsse Indien entweder lieben oder hassen. Das ist falsch, es geht beides. Aber die Liebe überwiegt bei uns bei weitem.



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