09.12. 2014
Shopping! Nach dem Frühstück ging es zum Cottage Industries Laden und
zum Big Bazaar. Mich faszinierten mal wieder die Heerscharen billiger
Arbeitskräfte, die keine oder völlig unnütze Tätigkeiten verrichten.
Alleine der Bezahlvorgang bei der nach DIN ISO 9001 zertifizierten
Cottage Industries am mit insgesamt vier
Personen besetzten "cash counter" verursachte mehr Stempel und
Unterschriften als der Kauf unseres Hauses. Das Aufbringen der Stempel
glich dabei einer Frust-Therapie, ich denke der Stempel ist das
Moorhuhn Indiens.
Bei Big Bazaar gaben wir
die Tüte mit den Einkäufen der Cottage Industries an einer
Gepäckaufbewahrung ab. Wir betraten den Laden durch einen
Metalldetektor-Rahmen, der munter quietschte und piepste, schließlich
hatten wir noch Handtasche und Bauchgurt dabei. Dahinter stand eine
Uniformierte und freute sich, lächelte wichtig und sagte "hello mam".
Sonst nichts. Im Laden standen so viele Angestellte in den Gängen, dass
man teilweise kaum an die Regale gelangte. Und die meisten taten nichts
oder standen nur zusammen und redeten. An der Kasse wurde kassiert, ein
weiterer Mitarbeiter verpackte die Ware und schnürte die Tüte mit einem
Kabelbinder zu. Vier Meter weiter, am Ausgang, stand ein Uniformierter,
kontrollierte und stempelte den Kassenbon. Die Tüten waren zu, er
konnte nicht
hineinsehen, aber er prüfte
akribisch den Bon. Wer den Bon an der Kasse liegen lässt und ihn am
Ausgang nicht vorweisen kann bekommt Ärger, wie die junge Dame vor uns.
Der Uniformierte ist wichtig aber völlig überflüssig.
Aus dem Lautsprecher plärrte "Radio Big Bazaar" und verbreitete die
neueste Rabattschlacht. Bis zum 8. des Monats bekommen wir 5% auf
Zahncreme, die wir tatsächlich brauchen, aber auch auf Motoröl. Und 15%
auf Gewürze. Und beim Kauf von 12 Saris bekommt frau den 13. gratis.
Anscheinend gibt es auch in Indien das Geld zum Monatswechsel und
anscheinend reicht es statistisch betrachtet bis etwa zum 8. des
Monats. Die Mode hat sich in den vergangenen vier Jahren klar in die
"westliche" Richtung entwickelt. Ursprünglich indische Kleidung wie ein
Shalwua Kamiz heißt nun "ethnic wear".
Auf dem Rückweg bekomme ich als Belohnung für meine Einkaufsberatung
eine Mopped-Zeitschrift. Der Enfield-Shop an der Esplanade hat sich
allerdings von meinen Einkäufen vor zwei Jahren immer noch nicht erholt
und die Regale sind verwaist. Lediglich ein schwarzes "made like a gun"
T-Shirt hätte mich interessiert, allerdings ist auch die XXL-Größe für
indische Sixpack-Beachboys dimensioniert. Damit ich da auch in Zukunft
nicht hereinpasse verspeisten wir jeweils noch eine sehr leckere double
egg roll ("Kati roll") am Stand in der Park Street und gingen dann zum
Fairlawn zurück, wo wir uns mit Teresa auf einen Tee trafen. Teresas
Geschichten zu hören ist immer ein Erlebnis, danke für den netten
Nachmittag, vor allem für die Erzählungen über die Pilgerreise nach
Europa und darin vor allem das Lourdes-Kapitel!
Während wir mit Teresa unseren Tee tranken beobachtete ich die anderen
Gäste im Biergarten des Fairlawn. Vor vier Jahren waren fast nur
westliche Touristen hier, vor zwei Jahren stellten wir fest, dass auch
die einheimische Mittelschicht präsent ist, vor allem junge Männer
unter sich oder in gemischten Gruppen. 2014 sind es nun Gruppen junger
Damen um die 20, die auf einige Flaschen Kingfisher strong einkehren
und ein Zigarello herumreichen. Für hiesige Verhältnisse eine radikale
Abkehr von alten Mustern und Werten in nur wenigen Jahren. Nun kaue ich
schon den gesamten Urlaub auf Robert M. Pirsigs zweitem Buch "Lila"
herum und habe es auch noch nicht beendet. Meine Frage im Kontext der
Metaphysik der Qualität muss also lauten: Hat dieses Verhalten
dynamische Qualität? Bringt es die Gesellschaft evolutionär voran, ist
es also deswegen moralisch? Oder weniger verquer ausgedrückt, ist es
komplett "ok" wenn junge Mädchen rauchend und Bier trinkend im Fairlawn
sitzen oder verändert sich die indische Gesellschaft eventuell zu
schnell oder gänzlich falsch in Richtung westlicher Vorbilder?
Uns zog es heute noch in den Oxford Bookstore und in ein chinesisches
Restaurant in der Park Street, in dem eine Band spielte. Zunächst
populäre indische Musik, dann auch "hey dude". Oh! Kolkata!