29.11. 2014

Ein Tag aus der Rubrik "unverhofft kommt oft". Irgendwie konnte sich aufgrund Rajeshs blumiger Beschreibung keiner so richtig vorstellen, was uns heute erwartet und warum wir diesen Schlenker nach Osten unternehmen. Jetzt wissen wir es.

Zunächst besuchten wir bei der Ausfahrt aus Madurai einen Blumenmarkt, der uns mit Farben und Düften überschüttete. Ratri bekam eine Jasmin-Girlande ins Haar gesteckt und sah damit prächtig aus, ich freute mich am Rand des Marktgeschehens über einige gelungene Enfield-Fotos.

Nach einem weiteren kurzen Stop an einer für die Gegend traditionellen Chai-Bude (Teestand) veränderten sich Landschaft und Dörfer immer mehr. Keine Zeitreise aber irgendwie eine Parallelwelt, ein anderer Baustil, plötzlich und unerwartet erste Villen, die von einer großen aber vergangenen Epoche zeugen. Im Dorf Athangudi sahen wir uns dann die Herstellung der bekannten Fliesen an. Ein Rahmen wird auf ein Stück Glas gelegt, anschließend eine Schablone in den Rahmen. In die Kompartimente der Schablone werden unterschiedliche, dickflüssige Farben gegossen, die Schablone wird entfernt und der Rahmen etwa 1cm hoch mit einem Gemisch aus Sand und Zement gefüllt. Nun kann der Rahmen entfernt werden und die Rohform einer farbenprächtigen Fliese liegt vor. Nach einem Tag trocknen und sieben Tagen im Wasserbad ist die Fliese fertig. Athangudi ist bekannt für diese Produkte, die sogar patentiert sind, der Hersteller schickt in alle Landesteile und auch ins Ausland.

Die Gegend Chettinadu etwa zwei Autostunden östlich von Madurai ist trocken, wenig vom Monsun betroffen und daher kein Anbaugebiet von Reis und Baumwolle mehr. In den Dörfern sieht man große Becken, die Regenwasser sammeln, in der Regel sind die Temperaturen hoch und die Sonne brennt. Wir hatten heute Glück, das Tiefdruckgebiet über dem Golf von Bengalen schickte uns Wolken ohne Regen und einen erfrischenden Wind. Die Region hat ihren Namen von den Chettiars, einer Händlerkaste, die etwa Mitte des 19. Jahrhunderts durch kaufmännische Tätigkeit in Birma und Indonesien zu Wohlstand gelangte, und dieses Geld in ihrer Heimat unter anderem in prächtige, palastartige Villen investierte. Vermutlich sind gute Beziehungen zu den Briten, Geschäft und Reichtum mit der Babu Kultur Kolkatas vergleichbar. Die Zeugen des einstigen Wohlstands sind heute mehr oder weniger dem Verfall preisgegeben und erinnern in ihrer sterbenden Größe an die "lost places" Fotoprojekte.

Chettinad Villa

Einige der Bauwerke wurden oder werden allerdings sorgfältig restauriert und wieder genutzt, privat oder für touristische Zwecke. Und eines davon ist "The Visalam" in Kanadukathan, unser Hotel für leider nur eine Nacht. Diese Unterkunft ist wieder ein Volltreffer, wir haben uns auf Anhieb wohlgefühlt, das Ambiente hat uns gefangen genommen, der Stil fasziniert. Ein wunderschönes Atrium, säulengestützte Balkone, großzügige Zimmer mit Charme und unaufdringlichem, dezentem Luxus, ein Pool ohne Chemie. Kein Massenbetrieb, nur 15 Zimmer gibt es hier, das Personal ist unaufdringlich und aufgrund der gemeinsamen Trinkgeldkasse gibt es auch keine Opportunitäten. Das macht Lust auf mehr und tatsächlich sind die vier Hotels und Ressorts, die wir noch besuchen werden, ebenfalls im Besitz des Betreibers "cgh earth", der ähnlich wie Orange County einen nachaltigen und sanften Tourismus postuliert.

Nach einem kleinen Imbiss spazierten wir mit Biju, unserem Führer seit Madurai, durchs Dorf und konnten uns an unseren "lost places" nicht satt sehen. Im Dorf steht unter anderem ein Lakshmi-Tempel, klar, dass bei den reichen Händlern die Frau Vishnus, die für Wohlstand zuständig ist, die Nase vorn hatte, und auch viele Pforten und Tore zu den Häusern ziert. Wir besuchten noch eine in der Restaurierung befindliche Villa und hielten einen Plausch mit dem Besitzer und seinem Sohn, schließlich sahen wir uns eine Weberei an, die Baumwolle in die hier traditionellen Tücher, Saris und Handtücher veredelt. Während in Karnataka die Seide dominiert, ist es in ganz Tamil Nadu die Baumwolle. Die Frau am archaisch anmutenden Webstuhl fertigt in zwei Tagen einen Sari (etwa 5,5m Stoff), der uns für 2000 Rupies angeboten wurde. Unterstellt man, dass Einheimische diesen Preis nicht zahlen, und der Großteil des Gewinns beim Besitzer der Weberei bleibt, dürfte nach Abzug der Materialkosten der Tageslohn für die Arbeiterin dürftig sein. Ratri findet einige schöne Tücher und reichert damit unseren Fundus an Souvenirs an, der stetig und zufriedenstellend gedeiht.

Zurück im Visalam erwartet uns etwas ganz Besonderes - eine Kochstunde. Chettinad Küche ist in ganz Indien bekannt und beliebt, neben den in Tamil Nadu üblichen vegetarischen Gerichten wird hier gerne auch Huhn, Fisch und anderes verkocht - und das auf raffinierte und schmackhafte Art und Weise. Wir durften in der Küche Zeugen der Zubereitung von "Huhn Chettinad" werden und das Ergebnis auch gleich verkosten. Es schmeckte so köstlich, dass das Chettinad Kochbuch aus dem Hotel-Shop gleich ins Gepäck wanderte. Außerdem freuen wir uns jetzt noch mehr auf das Abendessen, das wir uns nach 20 Bahnen im Pool und Tagebuch schreiben auch verdient haben.

Huhn Chettinad


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