28.11. 2014

Heute war ein völlig entspannter Tag im zauberhaften Madurai, das ein ganz anderes Flair verströmt als das bisherige, nördliche Südindien. Die Nacht haben wir dank Chemie und manueller Therapie (klatsch) moskitofrei überstanden und auch bei Tageslicht gefällt uns das Heritage Hotel, der alte englische Club der Stadt. Allerdings merken wir seit Orange County wieder mehr "Indien" in Form der allgegenwärtigen Trinkgeldjagt. Irgendwo habe ich letztens einen Mann häufig von "Opportunitäten" reden hören, was im Grunde nur ein schwergewichtiges Wort für "Möglichkeit" ist. Man stelle sich einmal vor es sitzt jemand in einem Werbespot auf einem roten Sofa und sagt in diesem dämlichen Deutsch mit angeblich schwedischem Akzent "entdecke die Opportunitäten". Dieser permanente Versuch anderer diese Opportunitäten zu nutzen stört uns. Welch herrliche Einrichtung in Orange County und wenigen anderen Hotels, in denen bereits an der Rezeption darauf hingewiesen wurde, kein individuelles Trinkgekld zu geben, sondern am Ende des Aufenthaltes in eine Kasse zu spenden, deren Inhalt unter allen Angestellten verteilt wird. Im Fairlawn in Kolkata praktizieren wir diese Vorgehensweise übrigens schon länger und sind gut damit gefahren.

Und in anderen Hotels? Es hat einer geschafft einen Tee zu bringen, bravo, Hand auf. Man reist um 11Uhr an und die Zimmer sind nicht bezugsbereit? Macht nichts, wir gehen zur Stadtbesichtigung, bitte einfach das Gepäck aufs Zimmer bringen. Was ist abends um 20Uhr nicht da? Klar, das Gepäck, jemand hätte ja eine Opportunität verpasst. Man kommt ins Zimmer und freut sich über den netten Elefanten aus Handtüchern? Das Foto ist noch nicht geschossen da klingelt es schon an der Tür. Ob einem der Elefant gefällt? Ja ja, klar. Ob sonst alles gut sei? Ja. Und er heißt blabla und ist zuständig und...bums, Tür zu, hau ab, das Hotel ist nicht umsonst und ein aufgeräumtes Zimmer sollte gerade noch inklusive sein. Selbst als ich im Pool schwimme, an dem sich wegen der Schwärme von Moskitos niemand aufhalten kann, steht der Pool-Zuständige beharrlich am Beckenrand und fragt "good, Sir?". Soll ich die 100 Rupies-Scheine laminieren und aus der Badehose zaubern wie die Blondine in der VISA-Werbung? Sähe vermutlich nicht annähernd so betörend aus, auch wenn Geld angeblich sexy macht.

Indien polarisiert. Auch uns während eines Urlaubs immer wieder. Wie man liest durchlebe ich gerade die "Anti-Phase". Die kommt immer nach 1-2 Wochen und geht schnell vorbei.

Zu den Fakten: Heute hat es bis Mittag geregnet, was für die Besichtigungen natürlich nicht so schön aber auch nicht zu ändern war. Dafür war es angenehm kühl. Wir starteten die Tour mit den verbliebenen Resten des Thirumallai-Nayak-Palastes, die wirklich beeindruckend sind. Welche Pracht muss er zu seiner Blütezeit im 17. Jahhundert ausgestrahlt haben? Ich kann es mir nicht vorstellen.

Dann folgte der unumstrittene Höhepunkt einer Madurai-Besichtigung, und sicher einer der Höhepunkte unserer Reise: Der Meenakshi-Sundareshvara-Tempel, besser Tempelkomplex. Bunt bemalte Türme mit unzähligen Figuren beheimatet die Anlage, prachtvoll verziert mit Gold. Man ist erschlagen von der Schönheit und Größe, die Atmosphäre des Heiligtums nimmt einen sofort gefangen, auch wenn wir als Nicht-Hindus nicht in die beiden heiligen Bereiche gehen dürfen. Die "1000-Pfeiler-Halle" mit ihren tatsächlich 999 verzierten Pfeilern fasziniert uns ebenfalls und aufgrund des Zahlenspiels fällt mir wieder einer meiner Lieblingsgeschichten aus einer anderen Kultur ein: "Allah hat 1000 Namen und davon kennen die  Menschen 999 - den 1000. kennt nur das Kamel. Und deshalb schaut es uns so schnippisch und arrogant an." Ich werde Tage damit verbringen mir Geschichten und Bilder zum 1000. Pfeiler auszudenken.

Ebenfalls eine schöne Geschichte ist die von Meenakshi und Sundareshvara. Meenakshi, lokale Gottheit aus der Zeit vor der Verbreitung der hinduistischen Hochgötter Brahma, Vishnu und Shiva, wurde zwecks Einarbeitung in den neuen Glauben einfach von Sundareshvara geheiratet. Und dieser Sundareshvara war kein anderer als Shiva. Aber hat man uns nicht in Coorg erzählt, dass Parvathi und Shiva eben dort in den Hügeln der Western Ghats geheiratet haben? Klar, als Parvathi und Shiva. Hier in Madurai haben sie als Meenakshi und Sundareshvara geheiratet. Alles klar? Auflösung von Widersprüchen, Ihr wisst schon, der Schwabe in mir sagt "isch halt so" und damit kommt man schon relativ weit.

An dieser Stelle übrigens einen herzlichen Gruß und Dank an Michael Köhlmeier für seine "Mythen-Reihe" im Fernsehen, die uns lange begleitet hat, und die mir, obwohl es um griechische Mythologie ging, die Tür zum Verständnis der hinduistischen ein wenig weiter geöffnet hat.

Nach einem wie immer sehr guten Mittagessen mit lokaler Madurai-Küche übten wir uns in Askese im Sinne von Verzicht. Wir verzichteten auf das Ghandi Memorial Museum, das am Freitag geschlossen hat. Damit verzichteten wir implizit auch auf das blutbefleckte Lendentuch, das der Mahatma bei seiner Ermordung trug. Da wir Reliquien nichts abgewinnen können und schon bei Mutter Teresas Taschenlampe nur den Kopf schüttelten kein schwerer Schlag. Dann verzichteten wir auf einen erneuten Tempelbesuch am Abend, da es nur um eine zehnminütige Prozession ginge, deren Zeitpunkt niemand sicher voraussagen kann. Beleuchtet werden die Tempel von außen nicht, an Fotos ist also auch nicht zu denken. Damit eröffneten wir unserem Mr. Johny ohne es zu wissen die Möglichkeit, seine Schwester zu besuchen, die hier in Madurai im Konvent lebt. Als er zwei Torten kaufte und uns das anschließend erzählte waren wir mit seinem gestrigen Schicksal versöhnt, schließlich war er in der Nacht erst um 2Uhr mit unserem Force angekommen, als wir schon längst friedlich schlummerten.

Und schließlich verzichteten wir auf die Opportunitäten anderer. Askese kann so schön sein...


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